Wolfgang Brandstetter, seines Zeichens ehemaliger Vizekanzler und Justizminister sowie Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafverteidiger und Ex-Vermieter von Rachat Älijew ist heute von seinem Amt als Mitglied des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zurückgetreten. Der Schritt kommt wenig überraschend, nachdem Chatverläufe mit dem suspendierten Sektionschef im Justizministerium Christian Pilnacek öffentlich wurden, aus denen sich deutlich ergab, dass Brandstetter als VfGH-Richter gegen ein Ende des absoluten Sterbehilfeverbotes gestimmt hatte.
Das ist insofern problematisch, da Abstimmungen und Beratungen am Verfassungsgerichtshof nicht öffentlich sind und ein Richter seines Amtes unter anderem deshalb enthoben werden kann, wenn er sich „durch sein Verhalten im Amt oder außerhalb des Amtes der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt oder die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat“. Nachdem der Präsident des Gerichtshofes, Christoph Grabenwarter, Brandstetter zu einem Gespräch ein- respektive vorgeladen hatte, konnte man annehmen, dass dieses für letzteren nicht allzu favorabel ausgehen würde. Der Rücktritt war also ein gesichtsschonender, möglichen Maßnahmen vorauseilender Akt.
Ein Fremdkörper
Dass man Brandstetter, der sich am Gerichtshof nicht uneingeschränkter Beliebtheit erfreut haben soll, keine Träne nachweint, zeigte sich bereits in der Presseaussendung des VfGH zu seinem Rücktritt. Darin bedankte sich Grabenwarter weder für dessen Arbeit als Richter, noch wünscht er ihm alles Gute für die Zukunft. Vielmehr stellte der Präsident lakonisch fest, dass die Anstehenden Beratungen durch den Rücktritt nicht gefährdet seien. Der offensichtliche Subtext: Es geht auch gut ohne Brandstetter.
Am VfGH soll mitunter der Eindruck vorgeherrscht haben, Brandstetter sei dem Gerichtshof als ehemaliges Regierungsmitglied vorgesetzt worden. Vielen war er als Ex-Minister für das Richteramt zu politisch punziert. Man bedankte sich nach seiner Angelobung dafür, indem man ihn für alle Verhandlungsgegenstände, in denen Gesetze betroffen waren, die auf Regierungsvorlagen zurückgingen, die er als Minister mitbeschlossen hatte, für befangen erklärte. Brandstetter musste sich unter anderem mit Verkehrsstrafen und Landesgesetzen begnügen.
Dass Pilnacek im Schriftverkehr mit ihm zwei Richterkolleginnen als Müllfrauen nach Kuba empfehlen wollte, dürfte, auch wenn die Aussagen natürlich nicht Brandstetter zuzurechnen sind, die Stimmung der übrigen Richter doch nicht übermäßig für ihn eingenommen haben. Am VfGH blieb er bis zuletzt ein Fremdkörper.
Wie es weitergeht
Seine Stelle nehmen in den Beratungen nun zunächst die Ersatzmitglieder ein, die für solche Fälle ernannt wurden. In den Fällen, in denen die Beratungen bereits mit Brandstetter begonnen wurden, verhandelt der Gerichtshof aber ohne Ersatz weiter. Bei einem möglichen Stimmengleichstand (6:6) entscheidet hier der Präsident, der ansonsten nicht mitstimmt (Dirimierungsrecht).
Spannend wird die Frage, wer sich bei der Nachbesetzung Brandstetters durchsetzt. Als Richter war er auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt worden, dieser steht nun auch das Recht auf Vorschlag der Nachbesetzung zu. VfGH-Richter, die dem Bundespräsidenten von der Bundesregierung vorgeschlagen werden, müssen Rechtsprofessoren oder Beamte sein. Anwälte können nur von National- oder Bundesrat nominiert werden. Nachdem Brandstetter ein ausgesprochener Wunschkandidat von Sebastian Kurz war, wird die ÖVP die Nachbesetzung ziemlich sicher für sich reklamieren. Die Frage ist, ob die Grünen ihr das durchgehen lassen.
Ein Lackmustest
Es wird wie immer alles an der Kommunikation hängen: Geht die ÖVP mit einem Kandidaten nach außen und lehnen die Grünen diesen ab, kann die Volkspartei darauf beharren und dem Koalitionspartner vorwerfen, die Besetzung zu verhindern. Die Grünen haben mit einem Bundespräsidenten aus ihren Reihen zumindest ein theoretisches Ass im Ärmel. Außerdem könnten sich nach dem Abgang des Kurz-Intimus auf einem sauberen Neuanfang bestehen.
Für das ideologische Gleichgewicht am Gerichtshof, wenn man von einem solchen sprechen will, wäre ein zusätzliches liberales Mitglied aus Sicht der ÖVP jedenfalls nicht wünschenswert. Allerdings unterwirft sich der VfGH selten einer politischen Schwarz-Weiß-Sicht und in der Vergangenheit dürften auch Richter, die gemeinhin der Volkspartei zugerechnet werden, Entscheidungen mitgetragen haben, die nicht deren Linie entsprachen. Der VfGH ist eben ein Gericht, an dem juristische Argumente mehr zählen sollten, als politische.
Die Brandstetter-Nachfolge könnte sich jedenfalls zum Lackmustest für die trükis-grüne Koalition entwickeln. Eine Frist, bis wann ein neues Mitglied ernannt werden muss, gibt es nicht. Theoretisch wäre der VfGH auch ohne dieses Mitglied auf Jahre hinaus handlungsfähig. Eine Blockade bei der Ernennung wäre aber dennoch als Verfassungsbruch „durch Verzug“ zu werten und ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.
Außerdem
Mit Ralph Janik habe ich über die aktuellen Anklage- und Rücktrittsdebatten sowie auch über den Fall Brandstetter gesprochen: hier geht’s zum Podcast
Im Standard durfte ich eine Erwiderung zu Alfred Nolls Kommentar der Anderen verfassen: hier geht’s zum Beitrag
Für die VN habe ich die Reform des Maßnahmenvollzugs zusammengefasst: hier geht’s zum Artikel
Ebenfalls für die VN habe ich mich mit der Geschichte der Flugzeugentführungen befasst: Hier geht’s zur Kolumne