So manch ein Deutscher soll sich schon sehr geschreckt haben, als ihm in Österreich die Exekution angedroht wurde. Im Nachbarland kommt der Gerichtsvollzieher und pfändet, alles andere versteht man als Androhung, füsiliert zu werden. In Österreich wird derzeit wieder fleißig über das Exekutieren im rechtlichen Sinne gesprochen, nämlich im Zusammenhang mit der Lieferung von E-Mails an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Sachen Ibiza-Affäre.
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Der Bundeskanzler stellt sich auf den Standpunkt, dass er bereits alles geliefert habe und nicht mehr zu den Akten genommen wurde. Der Verfassungsgerichtshof, der von den Oppositionsparteien angerufen wurde, hat ihn dennoch zur Lieferung des weiteren E-Mail-Verkehrs aufgefordert. Dem ist der Bundeskanzler naturgemäß nicht nachgekommen, weil ja nichts mehr da sein soll. Die Frage, die nun alle umtreibt lautet: Stimmt das?
Dass die Veraktung von Regierungsunterlagen weder internationalen Standards, noch den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes entspricht, ist seit längerem bekannt. Peinlich wird es, wenn der Verfassungsgerichtshof offensichtlich davon ausgeht, dass es noch mehr geben müsste. Wäre er der Ansicht gewesen, dass das Vorhandene dem entspricht, was vorhanden sein sollte, hätte er den Bundeskanzler kaum die Bereitstellung weiterer Daten aufgetragen. Der Bundeskanzler liefert aber nicht.
Umfangreiche Vollmachten
Nun berät das Höchstgericht, wie mit der Situation umzugehen ist. In der Öffentlichkeit wurde bereits der Ruf nach dem Bundespräsidenten laut. Ihm obliegt nach Art 146 B-VG die „Exekution der übrigen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes“, das sind diejenigen, die keine vermögensrechtlichen Ansprüche gegen den Staat oder Streitigkeiten der Rechnungshöfe mit Behörden betreffen.
Die Verfassung räumt dem Bundespräsidenten hier umfangreiche Vollmachten ein. Zum einen braucht er für die Exekution der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes nichts anderes als dessen Antrag, zum anderen ist sie durch die „nach seinem Ermessen hiezu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen“.
Was aber bedeutet Exekution?
Kann der Bundespräsident also mit einem Panzer ins Bundeskanzleramt fahren und dort nach Unterlagen suchen?
Nein, aber es ist kompliziert: Zunächst kann der Bundespräsident nicht selbst vollstrecken, sondern muss sich von Verfassungs wegen anderer Organe bedienen.
Bleibt die Frage, was Exekution nun eigentlich bedeutet. Im Allgemeinen versteht man darunter die Geltendmachung von Leistungsansprüchen aufgrund von rechtskräftigen Entscheidungen. Wer seine Gerichtsstrafen nicht zahlt, bekommt eben Besuch vom Exekutor. Tatsächlich war das bisher auch bei VfGH-Exekutionen in der Praxis der Fall. Immer wieder vergessen Behörden zum Beispiel, Beschwerdeführern die Prozesskosten zu erstatten. Dann beauftragt der Bundespräsident ein ordentliches Gericht mit der Eintreibung. Es ist so unspektakulär, dass es kaum je Aufmerksamkeit erregt hätte.
Der Geldeintreiber der Republik?
Aber wollte das Bundes-Verfassungsgesetz den Bundespräsidenten wirklich nur zum Geldeintreiber der Republik machen? Es gibt gute Argumente, die dagegen sprechen. Zum einen hätte der Verfassungsgesetzgeber wohl darauf verzichtet, das Staatsoberhaupt mit solchen Vollmachten auszustatten, wenn es ihm nur um unerledigte Erlagscheine für Prozesskosten gegangen wäre. Eine Exekution auf Weisung des Bundespräsidenten unter potenzieller Aufbietung der gesamten Staatsgewalt „einschließlich des Bundesheeres“ klingt nicht unbedingt nach einer versäumten Zahlungsaufforderung.
Diese Ansicht fußt in einem Exekutionsbegriff, den auch die deutsche und die Schweizer Verfassungsordnungen kennen: der Bundesexekution. Das grobe Konzept: Wenn ein Land oder Kanton aus der Reihe tanzt und sich mit verfassungsgerichtlichen Mitteln nicht mehr einfangen lässt oder es gar Aufstände gibt, marschiert der Bund ein und sorgt für Ordnung. (Die Schlacht bei Königgrätz war übrigens der traurige Gipfelpunkt einer gescheiterten Bundesexekution).
Die österreichische Verfassung kennt diese Bundesexekution nicht. Als der Verfassungsgerichtshof geschaffen wurde, sah man in ihm ein Instrument, um Streitigkeiten zwischen Staatsorganen beizulegen. Man verzichtete daher auf das archaische und bürgerkriegsähnliche Konzept des bundesinternen Truppenaufmarsches. Schon Hans Kelsen sah im Art 146 B-VG eine Überwindung der Bundesexekution. Ein großer Fortschritt der Regelung des B-VG liegt darin, dass sich die Durchsetzungskraft der Bundesverfassung nicht nur gegen die Länder, sondern auch gegen den Bund und dessen Organe richtet:
„Es liegt in der Konsequenz der Eigenschaft des VfGH als einem zur rechtsstaatlichen Streitschlichtung berufenen Gesamtstaatsorgan, dass seine Entscheidungen nicht nur gegen die Länder, sondern auch gegen den Bund vollstreckt werden können.“ Mathis Fister
Exekution ohne Ergebnis?
Über die Exekution eines VfGH-Erkenntnisses wurde zuletzt nach dem Kärntner Ortstafelstreit diskutiert. Der Verfassungsgerichtshof hatte damals aber nur die bisherigen Verordnungen (Ortstafeln) aufgehoben. Eine Exekution hätte sich also höchstens auf deren Demontage, nicht aber auf die Aufstellung neuer Tafeln richten können.
Im aktuellen Fall läge die Sache zumindest in diesem Punkt einfacher: Über die Herausgabe von Daten kann erkannt werden. Man kann das zuständige Organ exekutieren, die Daten suchen und finden. Die Frage ist, ob der Verfassungsgerichtshof und der Bundespräsident so weit gehen wollen, auf die Gefahr hin, dass die mit der Exekution beauftragten Organe nichts mehr vorfinden.
Seit meinem vorletzten Newsletter, der sich mit der Strafvollzugsreform beschäftigt hat, ist der Bericht der zuständigen Arbeitsgruppe veröffentlicht worden. Der Dank für den Hinweis geht ans BMJ. Der Bericht findet sich hier.
In meiner VN-Kolumne habe ich mich mit dem Thema Informationsfreiheit auseinandergesetzt. Im Text muss es natürlich richtig heißen, dass den Ministerien und Ländern die Fristen unerträglich kurz erscheinen. Hier geht’s zum Text.