Die Sicherstellung von Beweismitteln bei Behörden soll in der Strafprozessordnung (StPO) neu geregelt werden. Das ruft planmäßig Kritik hervor, befürchtet man doch, dass damit Ermittlungen in Zukunft erschwert würden. Ganz unberechtigt ist diese Angst nicht.
Es begann mit dem BVT
Den Hintergrund zur Neuregelung bilden die eher subobtimal gelaufene Durchsuchung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Jahr 2018 und das Verdikt des Oberlandesgerichtes (OLG) Wien über deren Rechtswidrigkeit. Eine Hausdurchsuchung bei einer Behörde sei nur dann verhältnismäßig, wenn absehbar sei, dass „im Falle eines Amtshilfeersuchens die ersuchte Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommen werde oder könne“. Die Staatsanwaltschaft soll in Zukunft also lieber höflich anklopfen und um Akten bitten, die dann von der Behörde selbst gesichtet und weitergegeben werden. Dass sich dahinter ein gewisses Missbrauchspotenzial verbirgt, sollte jedem klar sein. Das OLG hat den Staatsanwaltschaften damit jedenfalls einen ordentlichen Stein umgehängt, den die Politik nun in Gesetzesform gießen und sogar verschärfen möchte.
Ironischerweise hat man die entsprechende Änderung der StPO an die Reform des Nachrichtendienstes angehängt, dessen Treiben die Debatte ausgelöst hat. Ein neuer Paragraph soll in Zukunft die „Sicherstellung in Behörden und öffentlichen Dienststellen“ im Sinne der Entscheidung des OLG Wien regeln.
Berechtigte Einschränkungen, aber …
Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man eine solche Bestimmung als bloßen Angriff auf die Ermittlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaften abtun würde. Dass die Behörde der Beschlagnahmung von Material zunächst widersprechen kann, wenn Geheimhaltungsinteressen dem entgegenstehen, ist sicherlich eine vernünftige Lösung. Die Daten würden dann zwar gesichert, aber zunächst bei Gericht hinterlegt, bis über den Widerspruch entschieden wäre.
Die Tatsache, dass sensible Informationen ausländischer Nachrichtendienste aufgrund der Hausdurchsuchung beim BVT im Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft landen hätten können, in den alle Beschuldigten Einsicht haben, hat nicht unbedingt zur internationalen Vertrauensbildung beigetragen. Dass diese Schutzinteressen nun gewahrt werden sollen, ist per se nichts Schlechtes.
Neben diesen offensichtlich zu schützenden Daten sollen aber auch solche vor den Staatsanwälten geschützt werden, an denen „überwiegende öffentliche Interessen“ bestehen. Welche das sein sollen, bleiben auch die Erläuterungen zum Gesetz schuldig. Dort heißt es lediglich, es handle sich um „sehr enge Widerspruchsgründe“.
Freundliche Amtshilfe
Besonders kritisch sollte man sehen, dass nach den Plänen der Regierung Durchsuchungen bei Behörden nur noch zulässig sein sollen, wenn ein Amtshilfeersuchen „im Einzelfall den Zweck der Ermittlungen gefährden würde, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen den zur Amtshilfe verpflichteten Organwalter richtet“. Das heißt zumindest, dass Hausdurchsuchungen bei Ministern auch zukünftig möglich sein werden, da sie zwar Behörde aber eben auch sogenannte „Organwalter“ sind. Gleichzeitig geht die Regelung über jene Schranken hinaus, die das OLG Wien aufgestellt hat: Ein berechtigter Verdacht, dass der Amtshilfe nicht entsprochen werden könnte, reicht nicht mehr aus. Die Ermittlungen müssen sich gegen den Organwalter richten, der die Amtshilfe zu leisten hätte – in der Regel also gegen den Behördenleiter.
Sollte dennoch eine Sicherstellung geplant sein, ist der Rechtsschutzbeauftragte der Behörde beizuziehen, wenn es einen solchen nicht gibt, der Datenschutzbeauftragte. Dass man mit der Neuregelung der Hausdurchsuchungen vor allem auf Ministerien schielt, ergibt sich aus den Erläuterungen: Der Datenschutzbeauftragten sollen alternativ beigezogen werden, weil die Bestimmung ansonsten „nicht alle Bundesministerien abdecken würde“.
Verunmöglichte Geheimhaltung
Die Bundesregierung stellt sich vor, dass in der Praxis bei Durchsuchungen „eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Rechtschutz- bzw. Datenschutzbeauftragten ohne Nennung des von der Sicherstellung Betroffenen und der Örtlichkeit der geplanten Amtshandlung“ erfolgt, „unter Vereinbarung eines Treffpunkts, von dem aus der Ort der Amtshandlung gemeinsam aufgesucht werden kann“.
Diese Geheimhaltung wird vom Gesetz selbst konterkariert: Die Staatsanwaltschaft kann natürlich den Rechtsschutzbeauftragten des Finanzministeriums informieren, dass eine Sicherstellung geplant ist, ohne den Ort oder die betroffene Person zu nennen. Allerdings wird der Rechtsschutzbeauftragte des Finanzministeriums mit einiger Sicherheit davon ausgehen dürfen, dass es sich bei der zu durchsuchenden Behörde um das Finanzministerium oder eine nachgeordnete Dienststelle handeln wird. Gleichzeitig darf es ja nur dann eine Sicherstellung geben, wenn sich die Ermittlungen gegen den Organwalter richten. Die Vermutung wird also nahe liegen, dass es sich um eine Durchsuchung beim Finanzminister handeln wird. Das wiederum könnte den Anreiz für die Politik erhöhen, Rechts- und Datenschutzbeauftragte in Zukunft besonders ministernah zu besetzen, um einen gewissen Informationsvorsprung zu generieren.
Auch Beamte sind Menschen
Gleichzeitig verkennt die Regierungsvorlage – ob absichtlich oder nicht, sei dahingestellt – dass es auch soziale Beziehungen innerhalb von Behörden gibt. Man stelle sich vor, eine Behördenleiterin ist mit einem Abteilungsleiter gegen den wegen Amtsmissbrauchs ermittelt wird, befreundet. Die Staatsanwaltschaft hat zwar den Verdacht, dass die Organwalterin ebenfalls in den Fall verstrickt sein könnte, dieser reicht aber bei weitem nicht aus, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen. Beim Abteilungsleiter würden die Anhaltspunkte ausreichen, aber gegen ihn kann bei der Behörde keine Durchsuchung und Sicherstellung stattfinden, da sie sich nicht gegen die zur Amtshilfe verpflichtete Behördenleitung richtet. Demnach müsste die StA bei der Leiterin ein Amtshilfeersuchen stellen, damit diese jene Unterlagen herausgibt, die ihren Freund und möglicherweise in weiterer Folge auch sie selbst belasten.
Die Einschränkung, dass sich ein Ermittlungsverfahren unmittelbar gegen den Organwalter richten muss, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen, erweist sich in diesem Zusammenhang als potenzieller Todesstoß für Ermittlungsverfahren, die sich gegen komplexe kriminelle Vorgänge innerhalb von Behörden richten. Organwalter und Rechts- oder Datenschutzbeauftragte, die selbst keine Erfahrungen mit Ermittlungen haben, können, auch wenn sie gutgläubig Amtshilfe leistet, Fehler begehen, die den Zweck des Ermittlungsverfahrens hintertreiben. Es wird außerdem schwer sein, die manchmal erforderliche Gleichzeitigkeit von Maßnahmen zu gewährleisten, wenn die StA zuerst einmal mit einem Amtshilfeersuchen vorstellig werden muss. Da läuft möglicherweise schon die Hausdurchsuchung im privaten Wohnbereich des Beschuldigten, während sein Vorgesetzter die Amtshilfe erst noch einen Tag lang von der Rechtsabteilung prüfen lässt.
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