So viel Harmonie wie bei der Präsentation des neuen Verfassungsschutzes durch Innenminister Karl Nehammer und Klubobfrau Sigrid Maurer hat man zwischen ÖVP und Grünen zuletzt selten gesehen. Und tatsächlich hatte man durchaus Anlass, die positive Zusammenarbeit herauszustreichen, denn die Reform des bisherigen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), ist zumindest auf den ersten Blick kein Rohrkrepierer.
Ex tenebris lux?
Um in Österreich substanzielle Veränderungen durchsetzen zu können, braucht es vor allem eines: Leidensdruck. Nachdem das BVT durch die Versorgung von ÖVP-Parteigängern, eine vom FPÖ-geführten Innenministerium betriebene gesetzwidrige Hausdurchsuchung, die Ermittlungspannen rund um den Terroranschlag von Wien und die Kontakte zum gesuchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Jan Marsalek völlig abgewirtschaftet hatte, war die notwendige Schmerzgrenze für eine echte Reform nun offenbar erreicht. Der Innenminister versuchte dennoch wenig überzeugend, den Zustand des zivilen Inlandsnachrichtendienstes als Konsequenz von Naturgewalten darzustellen. Der Verfassungsschutz habe „schwere Risse bekommen“, sei er doch „über 20 Jahre alt“. Was sollte das für Behörden bedeuten, die aus dem 19. Jahrhundert stammen?
Maurer sprach hingegen unverblümt davon, dass das BVT „den internationalen Ruf Österreichs ruiniert“ habe. Ein desaströser Bericht des Berner Clubs, des internationalen Koordinationsgremiums der Nachrichtendienste, hatte den Zustand des heimischen Verfassungsschutzes schonungslos beleuchtet. Nehammer betonte jedoch, was bei Pressekonferenzen der aktuellen Regierung nicht unwesentlich ist, dass es sich diesmal um keine „Worthülsen“ sondern um „tatsächlich substanzielle Änderungen“ handle.
Die Kernpunkte der Strukturreform:
Das BVT wird aufgelöst. An seine Stelle tritt eine in die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (Sektion II im BMI) integrierte Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).
Die Direktion wird aus einer nachrichtendienstlichen und einer staatspolizeilichen Säule bestehen. Die bisherige Vermengung beider Tätigkeiten war immer wieder Anlass für Kritik. Ausländische Dienste hatten davor zurückgeschreckt, Informationen ans BVT weiterzugeben, da sie diese nicht in Ermittlungsakten wiederfinden wollten. Beide Säulen sollen nun von je einem stellvertretenden Direktor geleitet werden.
In der nachrichtendienstlichen Säule werden erstmals auch nicht-polizeiliche Mitarbeiter eingesetzt. Der Innenminister und die Klubobfrau sprachen unter anderem von Religionswissenschaftern.
Auch die Mitarbeiter, die aus der Polizei in die nachrichtendienstliche Säule übernommen werden, sollen keine verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt erhalten und keine Waffen tragen. Auch als dienstzugeteilte Polizisten wären sie ansonsten zur Anzeige aller Straftaten verpflichtet. Entsprechend wird man ihnen die Ermächtigungen der Sicherheitsbehörden dazu entziehen oder sie karenzieren müssen.
Kontrollerfolg der Grünen
Der Innenminister gab sich zwischendurch ungewöhnlich geläutert und verwies darauf, dass der eigentlich für die parlamentarische Kontrolle des BVT zuständige ständige Unterausschuss des Innenausschusses des Nationalrates unter seinen Vorgängern nicht so oft getagt habe. Wie kosmetisch die Aufsicht des Parlaments bisher war, verdeutlich Nehammers Hinweis, dass man dem Gremium erstmals Einblick in das genaue Budget und den Stellenplan des BVT gewährt habe.
Nun sollen nicht nur die Berichtspflichten des Innenministers an den Ausschuss erweitert, sondern soll auch eine unabhängige Kontrollkommission geschaffen werden. Sie wird dem Ausschuss ebenfalls Bericht erstatten und gleichzeitig als Hinweisgeberstelle für Whistleblower dienen. Nehammer nennt das eine „Kulturänderung in der Frage der Informationspolitik“.
Dieser Ausbau der parlamentarischen Kontrolle kann als deutlicher Erfolg der Grünen gewertet werden:
Das aus Experten bestehende Kontrollgremium soll auf Vorschlag des Hauptausschusses des Nationalrates vom Nationalrat mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Die Amtsdauer beträgt zehn Jahre, eine Wiederbestellung ist nicht möglich.
Die Kommission erhält volle Akteneinsicht und darf die Räumlichkeiten des Dienstes betreten. Die Direktion kann sich ihr gegenüber nicht auf das Amtsgeheimnis berufen.
Durchwachsenes Ergebnis bei der Postenbesetzung
Weniger erfolgreich waren die Transparenzbemühungen bei der Bestellung des Leiters der neuen Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst. Er wird weiterhin von einer Bestellungskommission, wie sie das Beamtendienstrecht vorsieht, zur Ernennung vorgeschlagen. Mit einer Modifikation: Der Kommission wird ein weiteres Mitglied, das vom Beamtenministerium bestellt wird, angehören. Was die Koalition als Stärkung der Unabhängigkeit verkauft, ist eher ein Zugeständnis an die Grünen, das zeigt, wie kaputt das Bestellungsverfahren insgesamt ist.
Die Langzeitwirkung dieser Regelung ist außerdem fraglich: Selbst wenn das, vom grünen Beamtenressort entsandte Kommissionsmitglied eine der allzuoft von äußeren Einflüssen geleitete Bestellungsentscheidung verhindern könnte, wird sich diese Kontrolle doch in Luft auflösen, sollten in der nächsten Regierung die Beamtenmaterien derselben Partei wie das Innenministerium zufallen.
Bei der Personalauswahl wird man dennoch die Standards erhöhen. So soll es ein generelles Verbot von Nebenbeschäftigungen geben. Darüber hinaus gilt für die Leitungsebene der neuen Direktion ein Politikverbot. Das wird zumindest iH auf Art 7 Abs 4 B-VG interessant, auch wenn man beim Bundesheer mit der politischen Betätigung von Offizieren in Generalsrängen ähnlich verfährt.
Ob es damit zu einer Entpolitisierung des Verfassungsschutzes kommt, wie der Innenminister verspricht, wird sich weisen. Unter dem Begriff wurde in Österreich bisher sein genaues Gegenteil verstanden. Maurer sparte jedenfalls nicht mit Kritik, indem sie die, vom Koalitionspartner in der Vergangenheit betriebene Parteibuchwirtschaft im BVT kritisierte und festhielt, die Qualität der Mitarbeiter habe dabei „oft keine bedeutende Rolle gespielt“.
Zumindest gewisse Verbesserungen darf man sich auch durch die erweiterte Sicherheitsüberprüfung des Personals erwarten. Bisher hatten solche Hintergrundchecks laut Berner Club nicht einmal beinhaltet, den Betreffenden zu googeln.
Strikte Trennung oder Kooperation?
Ein Kritikpunkt an der Reform war die ausbleibende Kompletttrennung der nachrichtendienstlichen und staatspolizeilichen Aufgaben. Beide Säulen der neuen DSN bleiben über den gemeinsamen Direktor und ein Lagezentrum verbunden. Die Erfahrungen in Deutschland hätten gezeigt, dass die mangelnde Kommunikation zwischen Nachrichtendiensten und Staatsschutz problematisch sein könne.
Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings hat auch die bisher fehlenden Trennung der beiden Aspekte die Informationspannen im Vorfeld des Anschlages von Wien nicht verhindern können. Dem will man nun mit der verstärkten Zusammenarbeit mit Deradikalisierungsstellen und Fallkonferenzen entgegenwirken. Teil des Paketes ist auch eine Meldestelle für extremistische Inhalte.
Geht es nach Nehammer, startet die neue Struktur mit 1. Juli, so die parlamentarischen Prozesse bis dahin abgeschlossen sind. Was bleibt, sind einige offene Fragen:
Wie wird man mit den Landesämtern für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) verfahren, die bisher dem BVT nachgeordnet waren? Bei der teilweise geringen Personalausstattung wird sich dort die Aufteilung in zwei Säulen als schwierig erweisen.
Werden tatsächlich alle Stellen neu ausgeschrieben, auch jene in den LVT?
Wie wird man die internen Abläufe, zum Beispiel die Führung der Vertrauenspersonen und Belohnungen an diese, reformieren?
Die Änderung der Arbeitsmentalität wird neben der Einführung internationaler Sicherheitsstandards zentraler Bestandteil der DNS der neuen DSN sein müssen. Der Berner Club hatte in seinem Bericht zum BVT unter anderem kritisiert, dass das IT-System nicht für die Verarbeitung von klassifizierten Informationen geeignet war, der Virenschutz von einem als unsicher eingeschätzten russischen Unternehmen stammte und die Mitarbeiter private Speichermedien überall hin mitnehmen durften.
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