Der 12. Mai 2021 wird im Rückblick sicher nicht der beste Tag im Leben des Bundeskanzlers gewesen sein. Nachdem durch Recherchen von profil und Falter bekannt geworden war, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ihn als Beschuldigten führt, erhielt Sebastian Kurz im Laufe des Tages auch noch die Nachricht, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) ihn zur Lieferung weiterer Akten an den Ibiza-Untersuchungsausschuss verpflichtet hatte.
Auch ein Strafantrag macht Anklagte
In Sachen Strafverfahren schien man einigermaßen vorbereitet. Es gab diesmal keine Klagen, dass der Kanzler erst aus den Medien vom Ermittlungsverfahren gegen ihn und seinen Kabinettschef erfahren habe. Er wurde laut Medienberichten vorab darüber informiert, dass er als Beschuldigter geführt wird. Offenbar entschied man sich aber dagegen, damit proaktiv an die Öffentlichkeit zu gehen.
Der Bundeskanzler sprach in seiner Reaktion nicht von einer Anklage sondern von einem Strafantrag, was aber nur semantisch besser klingt. Tatsächlich ist der Strafantrag eine Form der Anklageerhebung und unterscheidet sich von der Anklageschrift durch die unterschiedliche Zuständigkeit der Gerichte, die diese bedingende niedrigere Strafandrohung und eine damit oft einhergehende geringere Komplexität des Sachverhalts.
Ein Spiel mit hohen Einsätzen
Der Bundeskanzler verneinte jede Rücktrittsabsicht im Zusammenhang mit Verweis darauf, dass es eben nur um einen solchen Strafantrag gehe. Die Tatsache, dass die WKStA ein amtswegiges Ermittlungsverfahren führt, deutet nämlich darauf hin, dass es auch zur Anklage kommen wird. Wenn Staatsanwälte von sich aus ermitteln, ist die Suppe meist so dick, dass sie das Verfahren auch zu Gericht tragen. Die WKStA könnte dem Bundeskanzler natürlich auch eine Diversion anbieten, die dieser aber nicht annehmen muss.
Sowohl für den Kanzler als auch für die WKStA ist dieses Verfahren ein Pokerspiel mit hohen Einsätzen. Falsche Beweisaussagen sind, vor allem weil ein Vorsatz gegeben sein muss, nur schwer zu beweisen. Wird Kurz nicht angeklagt oder freigesprochen, dürfte sich das Trommelfeuer der ÖVP gegen die WKStA noch weiter intensivieren.
Und dann kam der VfGH
Die zweite Hiobsbotschaft des Tages bringt den Bundeskanzler an einer anderen Front in die Bredouille: Der Verfassungsgerichtshof hat ihn zur Lieferung von Akten an den Untersuchungsausschuss verpflichtet, deren Existenz der Bundeskanzler leugnet. Nach seinen Angaben wurden die entsprechenden Daten rechtmäßig vernichtet.
Für den VfGH ändert das aber nichts an die Lieferverpflichtung des Bundeskanzlers:
„Ob und inwieweit der Bundeskanzler aus faktischen Gründen nicht in der Lage sein sollte, seiner Verpflichtung nach Art. 53 Abs. 3 B-VG iVm § 27 VO-UA nachzukommen, ändert im Übrigen nichts an der grundlegenden Verpflichtung, auch diese Akten und Unterlagen einem Untersuchungsausschuss vorzulegen.“ VfGH (UA 4/2021-18)
Damit ist klar, dass auch das Höchstgericht bereit ist, auf Konfrontationskurs mit dem Bundeskanzler zu gehen. Der VfGH spricht dies auch sehr deutlich an, indem er in weiterer Folge eine Exekution seines Erkenntnisses in den Raum stellt:
„Die Frage, ob E-Mails unwiederherstellbar gelöscht sind, wäre im Rahmen einer allfälligen Exekution gemäß Art. 146 Abs. 2 B-VG zu klären.“ VfGH (UA 4/2021-18)
Es ist bemerkenswert, dass die Richter hier unverblümt die Durchsuchung der Server des Bundeskanzleramtes in den Raum stellen. Für den Bundeskanzler selbst ergeben sich daraus zwei Szenarien, die für ihn beide wenig reizvoll erscheinen: Liefert er die Daten nun doch, wird man die Glaubwürdigkeit seiner früheren Aussagen in Zweifel ziehen, wonach diese bereits gelöscht wurden. Bleibt er die Lieferung aber schuldig, steht eine Exekution im Raum. Eine Durchsuchung des Bundeskanzleramtes und/oder des Bundesrechenzentrums auf Anordnung des Bundespräsidenten hätte eine fatale Optik, die wohl auch internationale Schlagzeilen machen würde.
Die Zeit wird knapp
Gleichzeitig hat der VfGH es dem Bundespräsidenten schwer gemacht, sich mit der Zusicherung des Kanzlers, man habe ergebnislos gesucht, zufrieden zu geben. Immerhin hat er bereits angemerkt, dass die Klärung der Frage, ob noch Daten vorhanden sind, Gegenstand einer etwaigen Exekution wäre.
Für den Untersuchungsausschuss beginnt gleichzeitig ein Rennen gegen die Zeit. In den verbleibenden zwei Monaten seiner Tätigkeit wird er versuchen müssen, entweder die Daten vom Kanzleramt zu erhalten oder die Exekution zu betreiben. Letzteres könnte Angesichts der Verfahrensdauer beim ähnlich gelagerten Fall gegen den Finanzminister knapp werden.
Für den Bundeskanzler liegt es daher nahe, auf Zeit zu spielen. Wenn er erneut und sofort öffentlich verkündet, dass es keine Datenlieferung geben wird, kann die Einsetzungsminderheit im Ausschuss zeitnah zum VfGH gehen. Erklärt er aber, dass er nun eine neuerliche Suche anordnet, die dann leider ohne Ergebnis bleibt, gewinnt er kostbare Zeit. Das Kanzleramt hat bereits angekündigt, bestimmte Akten, die offenbar doch nicht gelöscht wurden, zu übergeben.
Auch für die Opposition endete der Gang zum VfGH im Übrigen nicht ganz schmerzfrei. Die Lieferung von Handynachrichten des Bundeskanzlers wurde vom Höchstgericht zurückgewiesen, weil die Antragsteller ein Datum bzw. ein Gesetzeszitat verwechselt hatten.
Mit Ralph Janik habe ich über den Exekutionsantrag gegen den Finanzminister gesprochen: Hier geht’s zum Podcast.
Mit Puls 24 habe ich über das Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler und das Erkenntnis des VfGH gesprochen: Hier geht’s zum Interview.
Für die VN habe ich die Problematik der zunehmenden Politisierung der Gerichtsbarkeit beleuchtet: Hier geht’s zur Kolumne.