Kaum hatte der Verfassungsgerichtshof beim Bundespräsidenten die Exekution seines Erkenntnisses beantragt, mit dem der Finanzminister zur Lieferung bestimmter Akten an den Untersuchungsausschuss verpflichtet worden war, lagen die Unterlagen schon in 30 Umzugkartons verpackt beim Parlament. Entweder hat das Finanzministerium sehr schnelle Drucker, die in wenigen Stunden über 100.000 Seiten Aktenmaterial ausspucken können, oder man hat mit der Entscheidung des VfGH bereits gerechnet.
Ein Schelm, wer böses dabei denkt
Nicht weniger erstaunlich ist, dass sich der Finanzminister zwar nicht in der Lage sah, dem ursprünglichen Lieferauftrag des Höchstgerichtes rechtzeitig nachzukommen, aber offenbar ausreichend Ressourcen hatte, um die Unterlagen genau zu sichten und nach sorgfältiger Abwägung die „entsprechenden E-Mails und Korrespondenzen aus dem Ressort etwa zwischen dem Generalsekretär und MitarbeiterInnen des früheren Finanzministers Hartwig Löger“ als geheim zu klassifizieren.
(Anm: Mittlerweile hat mir die Parlamentsdirektion bestätigt, dass tatsächlich alle Unterlagen als geheim eingestuft wurden.)
Da man die Unterlagen aus Sicherheitsgründen nur ausgedruckt übermittelt hat, wird die Sichtung durch die Abgeordneten etwas dauern. Würden sich alle 13 Mitglieder des U-Ausschusses die Materialien aufteilen, müssten sie etwa elf Tage und Nächte durchlesen – vorausgesetzt sie brauchen nur zwei Minuten pro Seite. Es fällt schwer, dahinter keine Absicht zu vermuten, die über bloße Geheimhaltungsinteressen hinausgeht.
Schließlich hat der Finanzminister vor dem Verfassungsgerichtshof noch standfest behaupten lassen, bei den Unterlagen handle es sich um private Nachrichten und/oder solche ohne Bezug zum Untersuchungsgegenstand. Durch die Klassifizierung als „geheim“ im Sinne des Informationsordnungsgesetzes behauptet er nun aber, dass die unbefugte Weitergabe den „Interessen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, den wirtschaftlichen Interessen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Vorbereitung einer Entscheidung oder dem überwiegenden berechtigten Interesse der Parteien“ schweren Schaden zufügen würde.
Und täglich grüßt das Höchstgericht
In den 204 Ordnern Aktenmaterial, die für den Ausschuss so gar nicht relevant sein sollten, steckt nach Ansicht des BMF also eine schwerwiegende Gefahr für übergeordnete Interessen. Eine so pauschale Klassifizierung wird den einen oder anderen Abgeordneten zum Widerspruch reizen. Das Gesetz sieht die Möglichkeit vor, die Geheimhaltungsstufen von Dokumenten zu ändern, wenn sie die Interessen der Öffentlichkeit überwiegen.
Dazu muss zunächst dem Finanzminister die Möglicheit zur Stellungnahme gegeben werden, die Klassifizierung der Unterlagen zu überdenken. Kommt er dem nicht nach, kann der Präsident des Nationalrates nach einer Beratung in der Präsidiale entscheidet, ob Informationen umklassifiziert werden. Nachdem weder der Minister noch der Präsident im Verdacht stehen, solchen Ansuchen ohne weiteres stattzugeben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich an der Klassifizierung nichts ändert, da der VfGH nur vom Finanzminister angerufen werden könnte.
(Dieser Absatz wurde dahingehend geändert, dass eine Anrufung des VfGH natürlich nur durch den Urheber und nicht das beanstandende Auschussmitglied erfolgen kann)
Bis dahin steht den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern eine Mammutaufgabe bevor. Klassifizierte Informationen der Stufe 3, und dazu gehören die Unterlagen nun, liegen nur zur Einsichtnahme in der Parlamentsdirektion auf. Man wird sie also händisch vor Ort durchforsten müssen, was Angesichts des Umfanges ein Horrorszenario ist, hinter dem nicht nur überkritische Beobachter böse Absicht vermuten werden.
Eine Umstufung kann schließlich nur beantragt werden, wenn sie begründet ist, was eine Bewertung der Unterlagen erfordert. Und bewerten kann man in der Regel nur, was man auch gelesen hat. Eine Überklassifizierung durch das vorlegende Organ sorgt also immer für Mehrarbeit und wird gleichzeitig nicht geahndet.
Was exekutiert werden darf
Die Exekution durch den Bundespräsidenten ist jedenfalls zumindest vorübergehend abgewendet. Eine Leistung, die bereits erbracht wurde, kann nicht mehr vollstreckt werden. Sollte sich bei der Durchsicht der Akten herausstellen, dass nicht alle Informationen geliefert wurden, kann natürlich weiterhin exekutiert werden.
Der VfGH hat in seiner Entscheidung zumindest unmissverständlich festgestellt, dass seine Erkenntnisse grundsätzlich der Exekution zugänglich sind, wenn sie „eine zwangsweise vollstreckbare Leistungsverpflichtung enthalten“. Gleichzeitig zeigte sich der Gerichtshof dezent irritiert, dass der Minister nicht schon im Vorverfahren alles geliefert, sondern damit kokettiert hatte, doch selbst am besten zu wissen, was die Richter zu sehen bekommen sollten. Damals hätte der VfGH noch entschieden, welche Unterlagen vom Untersuchungsgegenstand des Ausschusses erfasst waren. Eine solche Vorauslese kam nun aber „nicht (mehr) in Betracht“.
Gleichzeitig rollt auch auf die Bundesregierung das nächste Ungemach zu. Wie letzte Woche besprochen steht auch eine Entscheidung über die als mangelhaft empfundene Aktenvorlage durch den Bundeskanzler an. Hier wird behauptet, dass die geforderten Daten gar nicht mehr vorliegen. Man wird sehen, ob es zu einer Suche kommt.
An Florian Steiniger geht der Dank für den Hinweis, dass die letzwöchig besprochene Exekution gegen den Herrn Bundeskanzler vom VfGH noch nicht beantragt werden konnte, da die Aktenanforderung erst im Vorverfahren erfolgt ist.
Mit Ralph Janik habe ich über Ministerrücktritte gesprochen (als nächstes widmen wir uns den Exekutionen von VfGH-Erkenntnissen): Hier geht’s zum Podcast
Mit Thomas Mohr habe ich bereits über die Folgen des Exekutionsantrages gesprochen: Hier geht’s zum Interview
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Für die Vorarlberger Nachrichten habe ich mich zum Tag der Pressefreiheit mit der Frage beschäftigt, was die ÖVP früher von Regierungsinseraten gehalten hat: Spoiler: nicht sehr viel
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