Es ist ein sich wiederholendes Muster in der andauernden Corona-Krise: Bundes- und Ländervertreter konferieren über die nächsten Schritte und verkünden die Ergebnisse, oder das was schon in den Stunden davor an ausgewählte Medien weitergegeben wurde, der Öffentlichkeit. Das politische Spiel endete am Montag allerdings ohne Resultate: Der Bund wollte angesichts der hohen Inzidenzen im Osten neue Maßnahmen setzen, die Länder aber nicht.
Entsprechend schnell führte der österreichische Föderalismusreflex zu Angriffen auf den Bundesstaat. Man solle den Ländern die Zuständigkeiten im Gesundheitswesen entziehen, hieß es etwa. Tatsächlich haben die Länder aber nur wenige Kompetenzen in diesem Bereich und die sind zur Bekämpfung einer Pandemie eher irrelevant – das Bestattungswesen gehört etwa dazu. Wer von den Föderalismuskritikern einen Blick ins Bundes-Verfassungsgesetz geworfen hätte, den hätte beim Lesen des Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG vermutlich der Schlag getroffen. Das Gesundheitswesen ist, mit wenigen Ausnahmen, in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Tatsächlich sind die Landeshauptleute verpflichtet, im Gesundheitswesen weitgehend die Weisungen des zuständigen Ministers zu befolgen. Man nennt das mittelbare Bundesverwaltung.
Nun kann man sich berechtigtermaßen die Frage stellen, warum der Bund dann überhaupt mit den Ländern verhandelt. Die Antwort ist so kurz wie unbefriedigend: Politik.
Die Landeshauptleute sind eben keine Beamten, die nur brav Weisungen befolgen, sondern die Regierungschefs der Länder und, was fast noch wichtiger ist, im Regelfall Landesparteiobleute. Sie verhandeln also nicht nur mit dem Bundeskanzler, sondern in den meisten Fällen auch mit ihrem Bundesparteiobmann, dessen politische Zukunft letztlich auch von ihrem Wohlwollen abhängt. Wie groß der Unterschied im Umgang sein kann, haben die SPÖ-geführten Länder erfahren. Man hat sie in der Krise aus politischem Kalkül an der ausgestreckten Hand verhungern lassen: Absprachen fanden nur eingeschränkt statt, Informationen erhielt man über die Medien und Verhandlungen dienten vor allem der Show.
Dabei sind Gespräche des Bundes mit den Ländern schon wegen des hohen Koordinierungsbedarfs in einer Krise von enormer Wichtigkeit. Der österreichische Föderalismus setzt stark auf die Kooperation des Oberstaates mit seinen Gliedstaaten. Den Beteiligten sollte dabei aber klar sein, wer am Ende wofür den Kopf hinhalten muss und daher auch die Entscheidungen zu treffen hat. Das ist in diesem Fall der Gesundheitsminister.
Der steckt in der unangenehmen Situation, dass die gesetzten Maßnahmen immer unpopulärer und daher auch weniger befolgt werden. Sein Koalitionspartner steht außerdem unter dem Druck der ÖVP-geführten Länder und diese unter dem Druck der Wirtschaftskammern, den Handel nicht mehr zu schließen. Gleichzeitig hat der wiederholte Pfusch der vergangenen Monate – wir erinnern uns an unklare und gesetzwidrige Verordnungen, nicht eingehaltene Versprechungen, diffuse FFP2-Maskenbestimmungen und zuletzt das Desaster rund um die Impfstoffbeschaffung – den politischen Verhandlungsspielraum des Ministers schneller schrumpfen lassen als der Klimawandel eine Eisscholle. Hinzu kommt, dass Lockdown-Verordnungen von der Zustimmung des Hauptausschuss des Nationalrates abhängig gemacht wurden – eine Forderung der Opposition, die sich als zweischneidig erwiesen hat. Denn so kann die ÖVP nun auch über die parlamentarische Schiene Druck auf den grünen Minister ausüben.
In dieser Situation kann sich ein Ressortchef hinstellen und lamentieren, dass er mit seiner Meinung allein auf weiter Flur steht oder er kann das bisschen Kapital, das er noch hat, einsetzen. Die Entscheidung des Gesundheitsministers, ersteres zu tun, wäre verständlicher, wenn es nicht um Menschenleben ginge.
Letztendlich hat er die Situation mitverantwortet, indem er es über ein Jahr lang verabsäumt hat, sein Ressort neu aufzustellen, nur um dann am Ende den Impfkoordinator als einziges Bauernopfer über die Klinge springen zu lassen. Wie es um die Konsistenz seiner Politik bestellt ist, bewies der Minister vergangene Woche, als er den seit eineinhalb Jahren unbesetzt gebliebenen Obersten Sanitätsrat als sein wichtigstes Beratergremium bezeichnete. Welcher Gesundheitsminister lässt sein wichtigstes Beratergremium während einer Pandemie so lange funktionsuntüchtig und kann auch auf Nachfrage keinen schlüssigen Grund dafür nennen? Sonderlich anspruchsvoll kann die Auswahl nicht gewesen sein, wurde doch der bisherige Vorsitzende einstimmig wiedergewählt und gleichzeitig stolz erwähnt, dass alle angefragten Mitglieder sofort zugesagt hätten.
In einem solchen Gesamtzusammenhang fällt es den Landeshauptleuten natürlich leicht, das Portfolio eines Bundesministers zu kannibalisieren. Der Föderalismus ist hier nicht das Problem. Vielmehr hat ein politisch angeschlagener und auf Konsens eingefleischter Minister gegenüber den Ländern und dem Koalitionspartner, der seine Popularitätswerte als Gefahr betrachtet, ausgespielt.
Könnte man nicht eigentlich sagen, dass der Föderalismus das Problem ist, aber anders als man es landläufig versteht. Wie du im Bericht geschrieben hast, ist eigentlich gerade schon die föderale Realverfassung zumindest mitschuld. Gäbe es keine Bundesländer mit populären Provinzkaisern, würden die Entscheidungen wahrscheinlich anders getroffen werden.
Außerdem reicht es nicht, dass der Gesundheitsminister Verordnungen gegen alle Widerstände aus den Bundesländern schreibt, sondern er braucht auch die Unterstützung vor Ort, damit sie wirklich umgesetzt werden. Wenn sich der LH dann ganz beleidigt in seiner "Bundesland Heute"-Sendung über die unfairen Maßnahmen aus Wien beschwert, wird die Bevölkerung auch nicht mehr wirklich mitgehen. Und solches Verhalten wird er BM nicht mit Verordnung abdrehen können.