Der verheerend schonungslose Bericht des früheren Justizministers Clemens Jabloner zum Zustand der österreichischen Justiz hat 2019 einigen Staub aufgewirbelt. Nun präsentierte die aktuelle Justizministerin Alma Zadić eine Strafvollzugsreform, die sich der bestehenden Probleme aber nur teilweise annimmt.
Kern des Reformvorhabens sind die Ausweitung des elektronisch überwachten Hausarrests und die verstärkte Nachbetreuung von Haftentlassenen. Eine Arbeitsgruppe hat die Vorschläge erstellt. Ihr Abschlussbericht wurde leider nicht online-gestellt. Die Ministerin hat die Eckpunkte aber in einer Pressekonferenz vorgestellt.
Die beiden Reformschwerpunkte haben, und das dürfte kein Zufall sein, gegensätzliche budgetäre Auswirkungen: Während der Ausbau des Fußfesselprogramms die Haftkosten im Einzelfall auf etwa ein Zehntel reduziert, verursacht die verstärkte Bewährungshilfe einen Zusatzaufwand.
Weiters ist eine Individualisierung der Entlassungsauflagen geplant. In einem Pilotprojekt soll die aus dem Jugendstrafrecht stammende Sozialnetzkonferenz auf erwachsene Straftäter ausgeweitet werden.
Außerdem will man Häftlinge vor ihrer Entlassung künftig in Justizanstalten in der Nähe ihres Wohnortes verlegen, was die Resozialisierung vereinfachen soll. In der Praxis dürfte das aber mit Problemen verknüpft sein. So sind die Belagszahlen in den heimischen Justizanstalten so hoch, dass regelmäßig Verlegungen in weiter entfernte Einrichtungen stattfinden. Eine Regionalisierung des Vollzugs kann dazu führen, dass andere Häftlinge wegverlegt werden müssen, um Platz zu schaffen, was wiederum die Besuchsmöglichkeiten für deren Angehörige einschränkt.
Dass die Ausgliederung von hoheitlichen Aufgaben in die Justizbetreuungsagentur seit Jahren im Geruch einer latenten Verfassungswidrigkeit schwebt, wird mittlerweile gar nicht mehr thematisiert, obwohl auch die Grünen der Konstruktion „von Anfang an sehr skeptisch gegenüber gestanden“ waren.
Dauerbrenner Justizwache
Ein weiteres heißes Eisen bleiben die Probleme in der Justizwache. Eine kürzlich veröffentlichte Studie über Gewalt in den österreichischen Gefängnissen hält fest: „Die Personal-Insassen-Quote in Österreich ist im internationalen Vergleich niedrig, viele Planstellen sind unbesetzt.“ Es ist ein altbekanntes Problem. Wer sich für die Aufnahme in einen Wachkörper interessiert, wendet sich eher der Bundespolizei zu. Dort ist einerseits der Dienst abwechslungsreicher als in einer Haftanstalt, andererseits ist auch der Verdienst durch Zulagen mitunter attraktiver.
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Die Justizwache hat daher seit Jahren ein massives Rekrutierungsproblem. Vor zwei Jahren waren 6,2 Prozent der Stellen unbesetzt. Der Jabloner-Bericht geht aber von 250 zusätzlich notwendigen Stellen aus. Hinzu kommt eine Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst, die sich auch auf die Justizwache auswirken wird. Wie die Ressortleitung dem gegensteuern will, ist auch nach der nun präsentierten Vollzugsreform nicht absehbar.
Baustelle Maßnahmenvollzug
Eine fast noch größere Baustelle als die Reform der Strafhaft ist jene des Maßnahmenvollzugs, die die Justizministerin ebenfalls noch heuer angehen möchte. In dessen Rahmen werden vor allem geistig abnorme Rechtsbrecher in Sonderanstalten aber aus Kosten- und Platzgründen auch in regulären Justizanstalten untergebracht. Die Einweisungen steigen seit Jahren kontinuierlich an. Im Jabloner-Bericht heißt es dazu:
„Eine Entlastung des Maßnahmenvollzuges ist dringend erforderlich und unumgänglich.“
Bereits unter Justizminister Josef Moser wurde eine Reform geplant. Das schon vor Jahren ausgearbeitete Maßnahmenvollzugsgesetz wurde aber nie beschlossen. Auf eine parlamentarische Anfrage der SPÖ antwortete Moser dazu 2018:
„Der Entwurf eines Maßnahmenvollzugsgesetzes wurde im Sommer 2017 präsentiert und wird derzeit überarbeitet. Ich kann daher noch keine abschließende Antwort zu inhaltlichen Detailfragen geben.“
Dabei ist es auch geblieben. Der Grund dürfte bei den zu erwartenden Mehrkosten zu suchen sein. Ein Inkrafttreten des Gesetzes würde laut Jabloner-Bericht die „Errichtung eines weiteren Forensischen Zentrums zur Schaffung von 140 zusätzlichen Belagsplätzen für Untergebrachte“ notwendig machen. Außerdem fehlt eine akutpsychiatrische Abteilung. Aktuell wird aber nur in der Sonderanstalt Asten auf zusätzliche 100 Plätze ausgebaut. Investitionen in einen humanen Straf- und Maßnahmenvollzug sind letztlich alles andere als populär und den Wählern entsprechend schlecht zu verkaufen.
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