Man kann die Interviews und Pressekonferenzen kaum mehr zählen, in denen zuletzt die Schaffung des Amtes eines Bundesstaatsanwaltes angekündigt wurde, freilich ohne dabei irgendwelche Details zu nennen. Dabei liegt der Hund bekanntlich gerade dort begraben.
Wie könnte die neue Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften also aussehen? Zwei Szenarien:
Der Bundesstaatsanwalt als Lame duck
Stellen wir uns vor, eine Partei, der gar nicht so sehr an einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt als vielmehr an der Ablenkung von ihren Skandalen gelegen ist, setzt sich durch und wir bekommen eine der üblichen österreichischen Reformen, die, außer neue Titel zu schaffen, wenig ändern:
In diesem Szenario wird der neue Bundesstaatsanwalt vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesministers für Justiz ernannt. Damit die Opposition zufrieden ist, dürfen vorher die Präsidenten der drei Höchstgerichte Vorschläge machen oder Stellungnahmen abgeben – aber nichts zu Verbindliches, man will doch noch die Wahl haben.
Vielleicht muss noch der Hauptausschuss des Nationalrates seinen Sanktus geben. Dazu veranstaltet man ein Hearing im Parlament, in dem derjenige, den man bereits gefunden hat, dann noch öffentlichkeitswirksam gesucht wird. Die Ernennung erfolgt auf fünf Jahre, eine Wiederbestellung ist bei entsprechend wohlwollender Amtsführung möglich. Das Ganze verkauft man als Stärkung der Unabhängigkeit und Entpolitisierung der Justiz.
Der neue Chefankläger bekommt natürlich eine eigene Behörde und Personal. Die Mitarbeiter der neuen Bundesstaatsanwaltschaft darf er vielleicht sogar aussuchen, aber natürlich erst später. Eine Übergangsbestimmung weist die nötige Zahl an unabhängigen Staatsanwälten zu – handverlesen vom Justizressort. Auf die Personalauswahl der nachgeordneten Oberstaatsanwaltschaften (OStA) hat ein solcher Billigsdorfer-Bundesstaatsanwalt natürlich keinen Einfluss, der bleibt beim Ministerium.
Dafür reduziert man die viel kritisierten Berichtspflichten auf ein Minimum, damit der Chefankläger nicht zu viel über die Arbeit in den OStA erfahren muss. Außerdem bleibt er dem Justizminister weisungsgebunden. Das ist leider notwendig, um die politische Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament zu sichern, wird man sagen. Um das weniger dramatisch wirken zu lassen, behält man einfach den Weisungsrat bei und veröffentlicht dessen Empfehlungen etwas schneller, um die Sache in einen Hauch von Transparenz zu hüllen.
Wenn sich eine strafrechtliche Angelegenheit um einen Politiker dann nicht mehr erschlagen lässt und die Bundesstaatsanwaltschaft Ermittlungen einleiten muss, werden diese natürlich laufend vom Parlament kontrolliert. Die Abgeordneten haben, selbstverständlich unter strengster Geheimhaltung, jedes Recht darauf zu wissen, wie und warum gerade gegen ihre Parteifreunde und Intimfeinde ermittelt wird. Sollte dennoch irgendetwas aus dem Ermittlungsakt öffentlich werden, ist das natürlich ein schwerwiegender Fehler der Bundesstaatsanwaltschaft, der leider zu einem erheblichen Vertrauensverlust in deren Leitung führen kann. Vielleicht sieht sich die Ressortleitung sogar zur Abberufung eines trotz entpolitisierten Bestellungsverfahrens unangenehmen Chefanklägers gezwungen. Das ist natürlich möglich, denn man hat das bewährte System aus Deutschland übernommen, wo der Generalbundesanwalt vom Bundesminister der Justiz entlassen werden kann.
Die politisch unangenehme Variante
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, etwas Vernünftiges aufzuziehen ohne einen zweiten Justizminister zu schaffen, den man einfach Bundesstaatsanwalt nennt. So könnte man etwa der Generalprokuratur die Aufgaben einer Bundesstaatsanwaltschaft übertragen. Dort arbeitet jetzt schon die Crème de la Crème der Staatsanwälte, mit der Überprüfung von Urteilen beschäftigt, aber ohne Weisungsbefugnis gegenüber den Anklagebehörden.
Der Generalprokurator als Chefankläger könnte nach öffentlicher Anhörung aller Bewerber auf Vorschlag des Nationalrates vom Bundespräsidenten für eine einmalige Amtszeit von zwölf Jahren ernannt werden. Das spart das Zittern vor einer allfälligen Vertragsverlängerung. Die Amtsdauer entspricht jener der Rechnungshofpräsidentin. Für den Vorschlag wäre eine Zweidrittelmehrheit zur Vermeidung polarisierender Ernennungen zweckmäßig.
Der Bundespräsident wäre einerseits aus ästhetischen Gründen einzuschalten – alles andere passt nur schwer ins System der Bundesverfassung – andererseits gab es ja auch schon Bundesregierungen, die sich auf eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit stützen konnten. Da ist die Ernennung durch das Staatsoberhaupt ein letztes Korrektiv.
Verfassungsrechtlich schwieriger wird es bei der Verantwortlichkeit der neuen Weisungsspitze aller Anklagebehörden. Wenn man ihn aus dem Weisungszusammenhang mit dem Justizminister nimmt, wird er zum obersten Organ und muss vom Nationalrat abberufen werden können. Wer Verantwortung trägt, muss auch verantwortlich sein – entweder gegenüber seinen Vorgesetzten, oder, wenn er keine hat, gegenüber dem Parlament oder dem Bundesvolk. Außerdem sind auch oberste Staatsanwälte nicht unfehlbar, das hat die Schweiz in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren.
Einen mit Zweidrittelmehrheit vorzuschlagenden Chefankläger mit einfacher Mehrheit absägen zu können, wäre zwar etwas paradox, aber sicher nicht die schlechteste Lösung. Allerdings ist auch ein Misstrauensantrag gegen den Bundespräsidenten an eine Zweidrittelmehrheit in der Bundesversammlung und eine darauf folgende Volksabstimmung gebunden. Diese Hürde könnte sich beim Bundesstaatsanwalt im Anlassfall aber als zu hoch erweisen.
Der Generalprokurator bzw. Bundesstaatsanwalt erhält als neuer Chefankläger die Personalhoheit über die eigene Behörde und die Leitungsfunktionen der vier Oberstaatsanwaltschaften. Die Tätigkeit der Generalprokuratur wird vom Nationalrat nachgeprüft, sobald Anklagen rechtskräftig sind. Eine Berichterstattung in laufenden Ermittlungsverfahren findet nicht statt. Gleichzeitig wird klargestellt, dass die Staatsanwaltschaften als Organe der Gerichtsbarkeit nicht dem parlamentarischen Anfragerecht unterliegen.
Man wird sehen, worauf sich die Koalition letztlich mit der Opposition einigt, denn ohne Zweidrittelmehrheit wird es nicht gehen. Das Ergebnis wird wohl auch davon abhängen, wie sich der von Ermittlungen in ihrem Umfeld getriebene Handlungsdruck auf eine der beiden Regierungsparteien entwickelt.
Vielen Dank, sehr gut lesbar, erhellend und analytisch; tolle Idee - herzlichen Glückwunsch. Hoffentlich folgen viele weitere solche Beiträge, die wie dieser zugleich amüsant und erschreckend sind (so zumindest die lame duck Version).
Vielleicht kann in diesem Diskurs auch die Konstruktion der Unabhängigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft als Orientierung dienen? Sie ist zumindest ein moderner Versuch, Ernennungsverfahren und Rechenschaftsplicht mit dem Unabhängigkeitsgebot in Einklang zu bringen. Darauf haben sich alle teilnehmenden Staaten auf europäischer Ebene geeinigt, und das sollte auch das Maß einer innerstaatlichen Unabhängigkeitskonstruktion sein.
Artikel 6 der VO (EU) 2017/1939 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R1939&from=DE) regelt die Unabhängigkeit (bei der Erfüllung der Pflichten Weisungen weder einholen noch entgegennehmen) und die Rechenschaftspflicht (gegenüber dem EP, dem Rat und der Kommission "für allgemeinen Tätigkeiten").
Artikel 7 regelt die Berichterstattung (Jahresbericht über ihre allgemeine Tätigkeit; einmal jährlich Aussprache mit dem EP, dem Rat und auf Verlangen auch mit nationalen Parlamenten) über die allgemeine Tätigkeit. Weder Parlamente (europäisches wie nationale) noch Rat noch Kommission können somit in Einzelfälle "hineinregieren". Die Korrektur staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen kann also nur durch unabhängige Gerichte erfolgen.
Die Ernennung und Entlassung des Europäischen Generalstaatsanwalts ist in Artikel 14 in einem reichlich komplexen Verfahren geregelt. Im Wesentlichen wird dieser vom Europäischen Gesetzgeber (also EP und Rat) im gegenseitigen Einvernehmen ernannt, für eine nicht verlängerbare Amtszeit von sieben Jahren. Seine Legitimität leitet sich aus der Beteiligung der Organe der Union an dem Verfahren für die Ernennung her. Ein komplex zusammengesetzter Auswahlausschuss (Repräsentanten oberster justizieller Stellen) erstellt eine Auswahlliste der Bewerber (diese müssen unter anderem eine Gewähr für Unabhängigkeit abgeben sowie die Voraussetzungen für die höchsten staatsanwaltlichen oder richterlichen Ämter erfüllen, über einschlägige praktische Erfahrungen verfügen sowie hinreichende Erfahrungen und Qualifikationen als Führungskraft besitzen). Entlassen werden kann der Europäische Generalstaatsanwalt nur durch Gerichtsentscheidung des EuGH (auf Antrag von EP, Rat oder Kommission), wenn dieser zu der Feststellung gelangt, dass er seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann oder dass er sich eines schweren Fehlverhaltens schuldig gemacht hat.